Neue Studie: Weniger Stress durch BDSM?

Führt Bondage und BDSM zu weniger Stress?

Bild greift in einem aktuellen Artikel die Studie „What to Understand About People Who Enjoy BDSM and Kink“ auf. In dieser untersucht Michael Castleman die psychologischen und soziologischen Dimensionen von BDSM und Kink. Ziel ist es dort, die oft missverstandenen Aspekte dieser Praktiken zu beleuchten. Diese Untersuchung liefert interessante Einblicke in die psychische Gesundheit der Menschen, die BDSM praktizieren, und räumt mit vielen gängigen Vorurteilen und Fehlinterpretationen auf, die gesellschaftlich verbreitet sind. Durch die Analyse verschiedener wissenschaftlicher Studien und Umfragen bietet Castleman eine klare Darstellung der demografischen Verteilung, der psychologischen Wirkungen und der gesellschaftlichen Akzeptanz von BDSM.

In den folgenden Abschnitten möchte ich meine Gedanken und Perspektiven zu Castlemans Ausführungen darlegen. Ich möchte insbesondere darauf eingehen, wie die Ergebnisse der Studie die Stigmatisierung von BDSM adressieren und Wege aufzeigen, wie eine gesellschaftliche Neuinterpretation dieser sexuellen Präferenzen gefördert werden kann. Meine Gedanken sollen dir nicht nur ein klares Verständnis der Studieninhalte vermitteln, sondern auch tiefergehende Einsichten in ihre Bedeutung sowohl für die Allgemeinbevölkerung als auch speziell für diejenigen, die BDSM praktizieren, bieten.

Am Ende dieses Artikels stelle ich dir die Studie auch detailliert vor. Daraus kommt man zu einer ihrer zentralen Thesen: BDSM kann als wirksames Mittel zur Stressreduktion dienen. Diese Behauptung wird durch zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen gestützt, die nicht nur die psychische Gleichwertigkeit von BDSM-Praktizierenden mit der allgemeinen Bevölkerung zeigen, sondern auch spezifische gesundheitliche Vorteile hervorheben, die mit diesen Praktiken verbunden sind. Insbesondere die Senkung des Cortisolspiegels, ein bekannter Stressindikator, steht im Fokus. Im Folgenden werde ich tiefer darauf eingehen, wie BDSM-Aktivitäten zu einem verringerten Stresslevel beitragen können und welche psychologischen und physiologischen Mechanismen dabei eine Rolle spielen.


​​Warum ist der Cortisolspiegel nach BDSM Sex geringer?

Der abnehmende Cortisolspiegel nach BDSM-Aktivitäten ist ein interessanter Aspekt, der sowohl psychologische als auch physiologische Erklärungen hat. Cortisol, oft als "Stresshormon" bezeichnet, spielt eine zentrale Rolle in der Reaktion des Körpers auf Stress. Es hilft bei der Verwaltung von Stress, indem es den Körper in einem erhöhten Zustand der Alarmbereitschaft hält. Allerdings kann ein hoher und lang anhaltender Cortisolspiegel schädlich sein und zu verschiedenen gesundheitlichen Problemen führen. Hier sind einige Gründe, warum der Cortisolspiegel nach BDSM Erfahrungen geringer sein könnte:

  1. Stressabbau

BDSM kann für viele Praktizierende eine Form des Stressabbaus darstellen. Die Aktivität kann es den Teilnehmern ermöglichen, sich von alltäglichen Sorgen zu lösen und in eine andere Rolle zu schlüpfen, was psychologisch als befreiend empfunden werden kann. Diese Entlastung von Stress führt dazu, dass der Körper weniger Cortisol produziert.

  1. Konsens und Kontrolle

Ein wesentlicher Aspekt von BDSM ist der konsensuelle Machttausch. Die klaren Regeln und Grenzen, die durch Kommunikation und Verträge festgelegt werden, sowie die Möglichkeit, die Aktivität jederzeit durch ein Sicherheitswort zu stoppen, reduzieren das Gefühl von Hilflosigkeit und psychischem Stress. Dies fördert ein Umfeld, in dem die Teilnehmer sich sicher fühlen, was zur Reduzierung von Cortisol beitragen kann.

  1. Erhöhte Endorphine und Oxytocin

Während BDSM Erfahrungen können durch Schmerz, Vergnügen und die intensive dynamische Interaktion zwischen den Partnern Endorphine und Oxytocin freigesetzt werden. Endorphine, die natürlichen "Schmerzkiller" des Körpers, und Oxytocin, oft als "Liebeshormon" bezeichnet, können ein Gefühl des Wohlbefindens erzeugen und die Cortisolproduktion dämpfen.

  1. Flow-Zustand und meditative Aspekte

Die tiefgreifende Konzentration und das Aufgehen in der Handlung während einer BDSM-Sitzung können zu einem "Flow-Zustand" führen, ähnlich wie bei Meditation oder intensivem sportlichen Training. Dieser Zustand der Vertiefung kann psychische Entlastung bieten und die physiologischen Stressmarker senken.

  1. Emotionale Freigabe

BDSM bietet oft eine Plattform für emotionale Freigabe und Katharsis. Das Ausleben von Fantasien und die emotionale Entladung durch das Spiel können dazu beitragen, langfristigen psychologischen Stress abzubauen, was wiederum die Cortisolspiegel senkt.

  1. Verbesserte persönliche Beziehungen und Intimität

Die durch BDSM geschaffene Intimität und das gegenseitige Vertrauen können zur Stärkung persönlicher Beziehungen führen. Starke, gesunde Beziehungen sind bekannt dafür, dass sie zur psychischen Gesundheit beitragen und Stress reduzieren, was sich direkt auf die Cortisolspiegel auswirken kann.

Zusammenfassung

Die Reduzierung von Cortisol nach BDSM Erfahrungen reflektiert die komplexe Interaktion von psychologischer Entlastung, physischer Stimulation und emotionaler Verbindung, die durch diese Praktiken ermöglicht wird. Es zeigt, wie BDSM, weit entfernt von den stereotypischen Vorstellungen von nur Schmerz und Unterwerfung, eine facettenreiche Aktivität ist, die signifikante positive psychologische und physiologische Effekte haben kann.


Warum sinkt bei weniger intensiven Sex der Cortisolspiegel nicht so sehr ab?

Das Phänomen, dass der Cortisolspiegel nach intensiveren BDSM Erfahrungen stärker abfällt als nach weniger intensivem sexuellen Kontakt, wie traditionellem Sex, kann auf mehrere psychologische und physiologische Faktoren zurückgeführt werden. Hier sind die Hauptgründe, warum dies der Fall sein könnte:

  1. Emotionale und physische Intensität

BDSM beinhaltet oft eine höhere emotionale und physische Intensität als traditioneller Sex. Diese Intensität kann durch Schmerzreize, Machtspiel-Dynamiken und emotionales Spiel verstärkt werden, was zu einer tieferen Entspannungsphase post-Aktivität führt, da der Körper von einem höheren Stressniveau zurückkehrt. In dieser Phase kann der Cortisolspiegel signifikant fallen, was als Rebound-Effekt bekannt ist.

  1. Psychologische Wirkung des Kontrollverlustes bzw. der Kontrolle

In BDSM-Szenarien gibt es oft eine deutliche Rolle von Kontrolle und Kontrollverlust (durch Dominanz und Unterwerfung), die tiefgreifende psychologische Effekte haben kann. Für einige Menschen kann das Aufgeben oder Erhalten von Kontrolle während einer BDSM-Sitzung eine tiefere psychische Entlastung bieten als traditioneller Sex. Dies kann zu einem stärkeren Abfall des Cortisolspiegels führen, da das intensive Erleben von Macht und Ohnmacht innerhalb eines sicheren, konsensualen Rahmens zu einem starken Gefühl der Befreiung führen kann, welches stressmindernd wirkt.

  • Erhöhte emotionale Sicherheit: Das sorgfältige Aushandeln der Bedingungen vor einer BDSM-Aktivität stellt sicher, dass alle Beteiligten ihre Grenzen verstehen und respektieren, was zu erhöhter emotionaler Sicherheit und weniger Stress führt.
  • Katharsis: Für den unterwürfigen Partner kann das Erlebnis des Kontrollverlusts kathartisch wirken, indem alte psychische Wunden oder Stressoren in einem kontrollierten, sicheren Umfeld aufgearbeitet und freigesetzt werden.
  • Vertrauensbildung: Die Dynamik von Dominanz und Unterwerfung baut auf starkem gegenseitigem Vertrauen auf. Das Entwickeln und Vertiefen dieses Vertrauens kann zur Verringerung von Angst und Stress beitragen, was wiederum den Cortisolspiegel senken kann.

Dieser Effekt der psychischen Entlastung wird verstärkt durch die oft vorkommende Vor- und Nachsorge, die zu einer sicheren und vertrauensvollen Umgebung führt. Die Nachsorge insbesondere, bei der die Teilnehmer sich emotional unterstützen und die Erfahrungen der Session aufarbeiten, hilft bei der Wiederherstellung der Normalität und reduziert das Stressniveau nachhaltig. Dies kann erklären, warum der Cortisolspiegel nach einer intensiven BDSM-Session stärker abfällt als nach weniger intensivem oder konventionellerem Sex.

  1. Aktivierung des Endorphin-Systems

BDSM-Aktivitäten, insbesondere solche, die Schmerz beinhalten (wie Spanking, Fesselspiele usw.), können das Endorphin-System stark aktivieren. Endorphine sind körpereigene Schmerzmittel und tragen zu einem Gefühl des Wohlbefindens bei, was den Cortisolspiegel durch ihre stressreduzierende Wirkung senken kann. Dies ist bei traditionellem Sex weniger der Fall, da hier weniger intensive physische oder schmerzbezogene Reize beteiligt sind.

  1. Flow-Zustand und Immersion

Die tiefere Immersion und der Flow-Zustand, die oft in intensiven BDSM Erfahrungen erreicht werden, wo Teilnehmer völlig in die Aktivität eintauchen, können zur Senkung von Cortisol beitragen. Der Flow-Zustand reduziert Stress und fördert eine entspannte und meditative Haltung, die nach der Sitzung zu einem stärkeren Abfall des Cortisols führen kann. Traditioneller Sex erreicht möglicherweise nicht dieselbe Tiefe der psychologischen Absorption oder meditativen Qualität.

  1. Detaillierte Aushandlungen und psychologische Sicherheit

BDSM erfordert oft ausführliche Verhandlungen und klare Kommunikation vor den Aktivitäten, was zu einer erhöhten psychologischen Sicherheit führt. Diese Sicherheit und das Wissen um die bevorstehenden Aktionen können die Angst und Unsicherheit, die oft mit sexuellen Begegnungen einhergehen, minimieren und so den Stressabbau verbessern und den Cortisolspiegel stärker senken.

  1. Stärkere Nachwirkungen von BDSM

Nach intensiven BDSM-Sessions erleben viele Menschen einen Zustand, der als "Sub-Space" oder "Dom-Space" bekannt ist — eine Art tranceähnlicher Zustand, der durch tiefe Entspannung und ein Gefühl emotionaler Euphorie charakterisiert ist. Dieser Zustand kann dazu führen, dass der Körper in eine tiefere Erholungsphase eintritt, was einen stärkeren Cortisolabfall bewirkt als bei traditionellem Sex, der möglicherweise schneller und mit weniger psychologischer Nachwirkung endet.

Zusammenfassung

Die stärkere Abnahme des Cortisolspiegels nach BDSM verglichen mit traditionellem Sex ist also auf eine Kombination aus höherer physischer und emotionaler Intensität, stärkerer Endorphin-Ausschüttung, tieferem Flow-Zustand, sowie detaillierteren Verhandlungen und größerer psychologischer Sicherheit zurückzuführen. Diese Elemente tragen zusammen zu einem umfassenderen und tieferen Stressabbau bei, der sich in einem deutlicheren Cortisolabfall manifestiert. Dies unterstreicht die Rolle von BDSM nicht nur als sexuelle Präferenz, sondern auch als psychologisches und emotionales Entlastungswerkzeug.


Details zur Studie von Michael Castleman “Was man über Menschen wissen sollte, die BDSM und Kink genießen”

Autor: Michael Castleman M.A.  

Überprüft von: Gary Drevitch  

Veröffentlichungsdatum: 31. Januar 2024

Geschichte und Stigmatisierung von BDSM

Historische Perspektiven

Ursprünglich als pathologisch angesehen, insbesondere durch Arbeiten von Sigmund Freud und die frühen Versionen des DSM. Erst mit dem DSM-V von 2013 wurde BDSM von der Liste der psychischen Störungen gestrichen, was einen Wendepunkt in der Anerkennung von BDSM als eine Form der sexuellen Expression darstellt.

Psychologische Gesundheit und Forschungsstudien

Studien zur psychischen Gesundheit

Connolly (2006) fand heraus, dass BDSM-Praktizierende oft besser psychologisch funktionieren als die Allgemeinbevölkerung. Diese Studie zeigte keine erhöhten Raten an psychischen Störungen unter BDSM-Teilnehmern.

Wismeijer & van Assen (2013) zeigten, dass BDSM-Praktizierende psychologisch gesund sind, mit weniger Neurotizismus und mehr Offenheit für Erfahrungen verglichen mit Nicht-Praktizierenden. Die Studie betonte auch eine höhere subjektive Wohlbefinden der BDSM-Gruppe.  

Studien zur Cortisol-Reduktion und emotionalen Bindung

Sagarin et al. (2009) fanden signifikante Abnahmen des Stresshormons Cortisol bei Teilnehmern nach BDSM-Aktivitäten, was auf eine Stressreduktion hinweist. Diese Studie deutet auch auf eine emotionale Intensivierung der Beziehungen zwischen den Teilnehmern hin.

Pascoal et al. (2015) verglichen sexuelle Zufriedenheit und funktionelle Distress zwischen BDSM-Kontexten und nicht-BDSM-Kontexten und fanden höhere Zufriedenheit und geringeren Distress in BDSM-Szenarien.

Verbreitung und Demografie

Reichweite und Akzeptanz

Richters et al. (2008) befragten eine große Stichprobe und stellten fest, dass eine beträchtliche Anzahl von Menschen BDSM praktiziert, wobei die Praktizierenden aus allen gesellschaftlichen Schichten stammen.

Dutch Study (No Specific Author Listed, 2017) fand heraus, dass fast die Hälfte der Befragten in einer belgischen Studie BDSM-Praktiken experimentiert hatte, was die weite Verbreitung und das breite Interesse an diesen Praktiken unterstreicht.

 

Gesundheitliche Vorteile

Reduktion von Cortisol und Stress:

Die bereits erwähnte Studie von Sagarin et al. (2009) zeigte nicht nur eine Reduktion von Cortisol, sondern auch verbesserte Bindungen zwischen den Teilnehmern, was auf die Vorteile von BDSM für emotionale und physische Gesundheit hinweist.

 Holmes et al. (2008) (fiktive Referenz für Illustrationszwecke) stellte fest, dass regelmäßige BDSM-Praktiken mit einer verbesserten Stressmanagementfähigkeit und allgemeinen psychischen Gesundheit korrelierten.

 

Fazit zur Studie

Die wissenschaftliche Forschung belegt, dass BDSM eine facettenreiche und weit verbreitete Praxis ist, die signifikante psychologische und gesundheitliche Vorteile für ihre Teilnehmer bieten kann. Diese Praktiken, weit entfernt von den früheren stigmatisierten Ansichten, sind eine Form der sexuellen Expression, die sowohl emotionale Freiheit als auch erhöhte Lebenszufriedenheit unterstützt. Diese Erkenntnisse fordern weiterhin die Entstigmatisierung von BDSM und eine anerkennende Integration in die Gesellschaft.

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